Die Schauspielerin Nina Hoss im Interview zum Kinofilm "Zikaden"

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Die Schauspielerin Nina Hoss im Interview zum Kinofilm "Zikaden"

Die Schauspielerin Nina Hoss im Interview zum Kinofilm "Zikaden"

Nina Hoss, gerade kommen Sie mit halbwegs ausgestandenem Jetlag vom Theaterspielen aus New York zurück, und schon reden wir über Ihren deutschen Kinofilm „Zikaden“: Wie bewältigen Sie diesen Spagat zwischen den Welten?

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Tja, das werden wir sehen. Jedenfalls bleibt es spannend. Tatsächlich kommt der Kopf nicht ganz so schnell hinterher, wie man sich das wünscht. Aber der Film „Zikaden“ hat mich ja auch nach New York zu Tschechows „Kirschgarten“ begleitet. Und natürlich möchte ich, dass möglichst viele Menschen mitbekommen, dass es diesen Film gibt.

Sie sind eine der namhaftesten deutschen Schauspielerinnen in Theater und Kino: Und da befürchten Sie, dass Ihr Film übersehen wird?

Das Kino hat gerade keine ganz einfache Zeit. Mit meiner Regisseurin Ina Weisse habe ich ja schon vor sechs Jahren das Familiendrama „Das Vorspiel“ gedreht. Dieser Film fand sein Publikum erst spät - was blöd war für die Produktionsfirma, die ihr nächstes Projekt angehen wollte und der zunächst die Kinoeinnahmen fehlten. Ich glaube, viele bekommen heute gar nicht mehr mit, welche tollen, kleinen Filme im Kino laufen ...

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... was auch daran liegen könnte, dass so viele gleichzeitig auf die Leinwände drängen und sich gegenseitig kannibalisieren.

Ja, aber bei „Zikaden“ habe ich das Gefühl, dass der Film jetzt im Juni genau zur richtigen Zeit kommt. Trotz all der schweren Themen geht von der Geschichte etwas Sommerliches aus. Da steckt eine beinahe französische Leichtigkeit drin mit Humor und Witz und einer großen Zugewandtheit gegenüber den Charakteren. Ja, es geht um die Pflege kranker Eltern, um die komplizierte Erziehung eines Kindes, die Frage, ob sich ein nächster Job findet oder nicht. Aber all das bleibt eingebettet in dieser flirrenden Leichtigkeit.

Ihre Figur Isabell muss sich um ihre auf dem Land lebenden Eltern kümmern: Orientieren Sie sich bei diesem Thema an eigenen Erfahrungen?

Es hilft, wenn man gewisse Situationen erlebt hat - schon weil man aus dem Erfahrungsschatz schöpfen kann. An ihrem Lebensende habe ich mich intensiv um meinen Vater und meine Mutter gekümmert. Also kenne ich die Überforderung bei der täglichen Pflege, die man in diesen Momenten aber gar nicht so sehr spürt. Man hat ja auch keine andere Möglichkeit und will die geliebten Menschen bis zum Schluss begleiten. Letztlich gehen bei einem Film aber alle persönlichen Erlebnisse in die Fiktion über.

Wie weit lassen sich Parallelen zwischen Leben und Film ziehen?

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Damals saß ich unendlich lange in Krankenhäusern und habe diese ganzen Abläufe von morgens bis abends erlebt, gemeinsam mit immer demselben Pflegepersonal. Plötzlich gab es einen intensiven Austausch mit fremden Menschen, mit dem man nie gerechnet hätte. Genauso ergeht es meiner Filmfigur Isabell.

Wem begegnet Isabell?

Sie trifft die junge Mutter Anja, die ganz anders als die Architektentochter Isabell ums finanzielle Überleben kämpft und sich von Isabell als Helferin für deren Eltern engagieren lässt. Ohne diese Extremsituationen wären sich die beiden kaum begegnet. Sie hätten vielleicht mal einen Blick getauscht, aber nie Interesse füreinander entwickelt. Die Spannung zwischen den beiden ist für mich das Faszinierende an „Zikaden“.

Entgleitet Isabell in dieser fordernden Situation das eigene Leben?

Sie rennt ihm zumindest hinterher. Sie hat es nicht mehr in der Hand, sie reagiert eher, als dass sie agiert. Isabell weiß ja auch nicht, was da im nächsten Moment zu Hause geschieht. Sie sagt selbst: Ihrer Mutter dürfe jetzt nicht auch noch etwas passieren, sonst würde sie in Panik geraten. Die familiäre Situation ist absolut fragil. Und gerade deshalb findet sie in der Begegnung mit Anja Halt. Die beiden geben sich gegenseitig Kraft, sind sich dessen aber gar nicht bewusst.

Was verändert sich, wenn die Eltern sterben?

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Vor Isabell liegen so viele Themen blank. Sie hinterfragt plötzlich vieles. Wird sie jetzt darüber hinwegkommen, in ihrer kriselnden Ehe kein Kind bekommen zu haben? Sie versucht, das alles noch einmal einzuordnen. Sie glaubt, verloren zu sein, und doch bekommt sie alles irgendwie organisiert. In solchen Situationen merkt man selbst womöglich gar nicht, welch Stärke in einem steckt. Vielleicht gelingt es Isabell endlich, ihr Leben in andere Bahnen zu lenken.

Woher schöpft Ihre Figur diese Kraft?

Es fühlt sich an wie ein Innehalten. Eine Ära geht zu Ende. Seitdem man auf der Welt ist, hat man sich in einem gewissen Zusammenhang bewegt. Nun zerbricht dieser, und man ist schon dabei, neue Strukturen aufzubauen. Vielleicht entscheidet man sich auch, noch einmal etwas ganz anderes zu machen.

Sie suchen Halt beieinander: Nina Hoss als Isabell (l.) und Saskia Rosendahl als Anja in "Zikaden".

Sie suchen Halt beieinander: Nina Hoss als Isabell (l.) und Saskia Rosendahl als Anja in "Zikaden".

Quelle: Verleih

Dreht sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern irgendwann um? Oder bleiben Kinder letztlich immer in ihrer Rolle als Kinder?

Das Pendel schwingt hin und her. Was die Organisation des Alltags betrifft, übernimmt Isabell im Film notgedrungen die Regie. Aber bestimmte Dinge kann sie nicht mehr auflösen mit ihrem Vater, der kaum noch sprechen kann. Sie hat einen enormen Respekt vor ihm. Dieser Respekt ist in ihren Charakter eingeflossen, auch in ihr Selbstwertgefühl. Von der Verehrung des Vaters hat sie sich bis dahin bei all ihren Entscheidungen beeinflussen lassen.

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Kennen Sie diesen plötzlichen irrationalen Impuls: Jetzt rufe ich mal schnell meine Eltern an, auch wenn diese schon lange tot sind, um Ihnen etwas zu erzählen?

Den hatte ich mal. Jetzt ist es eher so, dass ich manchmal gern wissen würde, was sie über diese oder jene Sache denken. In so einem Moment wäre ein Zwiegespräch schön. Leider kann ich mit keinem von beiden mehr Rücksprache halten.

Hat „Zikaden“ Sie dazu inspiriert, über das eigene Altwerden nachzudenken?

Nicht wirklich. Ich will auch nichts planen, weil das Leben sowieso immer mit der nächsten Überraschung um die Ecke kommt. Das habe ich inzwischen wirklich gelernt. Gleichzeitig liegt aber gerade darin das Wunderbare. Schließlich sind auch positive Überraschungen möglich. Man muss sich darauf einlassen. Mehr kann man nicht tun.

Werden Sie Ihren Eltern gefühlt mit zunehmendem Alter immer ähnlicher?

Was das Aussehen betrifft, habe ich da tatsächlich so meine Vermutungen. Manchmal bin ich überrascht, wenn ich mein Gesicht im Spiegel sehe.

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Kino, das existenzielle Fragen verhandelt: Nina Hoss im Film "Barbara".

Kino, das existenzielle Fragen verhandelt: Nina Hoss im Film "Barbara".

Quelle: Berlinale

Filme wie „Barbara“, „Rückkehr nach Montauk“, „Schwesterlein“, jetzt „Zikaden“: Hilft die Schauspielerei Ihnen dabei, sich mit existenziellen Fragen wie Leben und Tod zu beschäftigen?

Auf jeden Fall! Ich glaube, das ist der Grund, weswegen ich meinen Beruf nach wie vor mit großer Leidenschaft mache. Genauso wenig wie alle anderen werde ich je ergründen, was diese Zeit zwischen Geburt und Tod ausmacht. All diese Widersprüche, die auf uns im Leben niederprasseln. Die sozialen Zusammenhänge, die einen beeinflussen, der soziale Druck ... Also was macht Menschen zu dem, wer sie sind? Und wieso handeln sie so, wie sie handeln? Wieso gibt es einen freien Willen, und was macht der mit uns?

Bringt Ihre Arbeit Sie den Antworten näher?

Literatur und Kunst, Kultur überhaupt, eröffnen immer wieder neue Sichtweisen. Gerade in der heutigen Zeit kann Kultur helfen, weniger engstirnig zu denken. Bei dem vor hundert Jahren geschriebenen Stück „Kirschgarten“ zum Beispiel habe ich mich in New York gewundert, wie relevant es heute wieder ist. Die Menschheit scheint sich in einer ständigen Wiederholungsschleife zu bewegen. Es gibt immer wieder schlimme Rückschläge, in denen schrecklicherweise viele ihr Leben lassen. Sich mit solchen Beobachtungen zu beschäftigen, sie künstlerisch zu ver- und bearbeiten, tut gut. Das empfinde ich als ein großes Geschenk.

Wenn die Menschen immer dieselben Fehler machen: Wie soll es dann besser werden?

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Wenn ich ehrlich bin: Ich habe absoluten Optimismus für diesen Planeten, nicht so sehr für die Menschheit, die auf diesem Planeten lebt.

Diese Klasse hatte wirklich Klasse: Nina Hoss studierte an der Ernst-Busch-Schauspielschule Berlin zusammen mit Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt, Devid Striesow und Mark Waschke. Sie alle prägen heute Film und Fernsehen. Als Hoss noch studierte, entdeckte sie Produzent und Regisseur Bernd Eichinger. Er gab ihr die Rolle als „Das Mädchen Rosemarie“ (1996), jene Edelprostituierte, die es im Frankfurt der Fünfzigerjahre ganz nach oben schaffen wollte und deren Leben ein tragisches Ende nahm. Hoss, Tochter des Gewerkschafters und Grünen-Politikers Willi Hoss sowie der Schauspielerin und Theaterintendantin Heidemarie Rohweder, studierte nach dem Erfolg unbeeindruckt weiter. 15 Jahre lang gehörte Hoss zum Ensemble des Deutschen Theaters Berlin, dann ging sie zur Schaubühne am Lehniner Platz. Im Kino feierte Hoss genauso in Deutschland mit „Barbara“ (2012) und „Schwesterlein“ (2020) Erfolge wie auch auf internationalem Parkett mit „A Most Wanted Man“ (2014, mit dem verstorbenen Philip Seymour Hoffman) und in „Tár“ (2022, mit Cate Blanchett). Sie war in Erfolgsserien wie „Homeland“ (2014 - 2017) und „Tom Clancy’s Jack Ryan“ (2022) dabei. Nun spielt Hoss in Ina Weisses Familiendrama „Zikaden“ (Kinostart: 19. Juni) eine Tochter, der das Leben entgleitet: Ihre Isabell muss sich um ihre pflegebedürftigen Eltern kümmern, und in ihrer Ehe kriselt es heftig. Was ihr Kraft gibt, ist die Begegnung mit einer jungen Mutter mit ganz anderen Problemen.

Erreicht die offizielle Politik noch die Bevölkerung?

Die Hoffnung ist doch, dass jetzt alle zueinanderfinden und sich gegenseitig bestärken. Es geht um so viel. In New York habe ich gerade gespürt, wie schnell der Freiheitsgedanke verloren gehen kann. Plötzlich ist das Gefühl da, nicht mehr frei zu sein. Gerade wir Deutschen müssten aus unserer Geschichte wissen, wie schnell das geht, wenn wir nicht auf den Kopf gefallen sind: Wir müssen uns jetzt alle zusammenreißen.

Haben Sie Empfehlungen parat, wie wir in polarisierten Zeiten wieder lernen, füreinander einzustehen?

Ja, wir dürfen unsere Leichtigkeit nicht verlieren, unsere Wärme und Empathie. Das ist das Wichtigste. Und da hilft wieder die Kultur: Sie bringt einem die Lebenssituation anderer Menschen näher. Wir lernen, mit ihren Augen zu schauen. Wir dürfen uns nicht gegeneinander aufhetzen lassen. Im Theater oder auch bei einem Film kann sich das Publikum austauschen und stellt dann fest: Gemeinschaft tut gut! Das ist das Einzige, was wir gegen Hassparolen setzen können. Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen. Kultur öffnet den Kopf.

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Kommen die Menschen mit den Hassparolen überhaupt ins Theater oder ins Kino?

Die Einladung steht. Und vielleicht findet die Kunst auch noch andere Wege, um an Menschen heranzukommen. Da helfen Subventionen, sodass sie für alle zugänglich ist.

Setzen die Menschen sich in diesem Land genügend für ihre Demokratie ein?

Ich kann nur beschreiben, wie ich es eben in den USA in meinen fünf Wochen erlebt habe. Meinem eben geäußerten Pessimismus zum Trotz finden in Amerika große Demonstrationen statt. Demokratische Politiker wie der ganz alte Bernie Sanders und die ganz junge Alexandria Ocasio-Cortez füllen gemeinsam Hallen. Der Widerstand regt sich laut. Vielleicht wird darüber nur nicht genügend berichtet bei uns. Vielleicht bekommen wir gar nicht mit, wie stark die Gegenbewegung für die Demokratie nach der ersten Schockstarre inzwischen gewachsen ist.

Zu wie viel Optimismus können Sie sich noch aufraffen?

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Ich habe nicht das Gefühl, dass nicht genug in der Gesellschaft passiert, egal ob in den USA oder hier. Die Frage ist, ob es bereits zu spät ist in den USA. Ob die Schlinge sich schon zu weit zugezogen hat. Das können wir für Europa und Deutschland doch nicht wollen, dass wir wieder in einem Polizeistaat leben. Alles, was der hervorbringt, ist Gewalt und Unterdrückung und Menschenverachtung. Da ist es eben so mutmachend, dass es Menschen gibt, die sich gegen alle Widerstände laut für andere einsetzen. Deshalb habe ich meinen Optimismus noch nicht ganz begraben.

rnd

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